bearbeitet von Schramm Öhler Rechtsanwälte (Juni 2014)
Auftraggeber haben bei der Festlegung der Mindestanforderung an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit einen weitreichenden Gestaltungsspielraum. Bieter können sich zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit auf die Kapazitäten dritter Unternehmen stützen.
Ein ungarischer AG hat zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit gefordert, dass das in der Bilanz ausgewiesene Geschäftsergebnis des Bieters in den letzten drei Geschäftsjahren für nicht mehr als eine Jahr negativ sein darf. Auf Grund eines Gewinnabführungsvertrags ist der betroffene Bieter (eine ungarische Zweigniederlassung deutschen Rechts) verpflichtet, seine Gewinne jährlich an seine Muttergesellschaft abzuführen, so dass das in seiner Bilanz ausgewiesene Ergebnis regelmäßig null oder negativ ist. Der Bieter stellte daher die Rechtmäßigkeit der Mindestanforderung in Frage, da diese nach seiner Ansicht auf Grund der unterschiedlichen Rechtsvorschriften diskriminierend sei.
Der EuGH sprach aus, dass ein Auftraggeber bei der Wahl der Mindestanforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit „verhältnismäßig viel Freiheit“ hat. Die Grenze dieser Wahlfreiheit liegt jedoch darin, dass die „gewählten Elemente der Bilanz objektiv geeignet sein müssen, über die Leistungsfähigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers Auskunft zu geben, und dass die in dieser Weise festgelegte Schwelle […] objektiv einen konkreten Hinweis auf das Bestehen einer zur erfolgreichen Ausführung dieses Auftrags ausreichenden wirtschaftlichen und finanziellen Basis ermöglicht, ohne jedoch über das hierzu vernünftigerweise erforderliche Maß hinauszugehen.“
Auf Grund der Gestaltungsfreiheit des Auftraggebers bei der Festlegung der Mindestanforderung an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit, lag nach dem EuGH keine mittelbare Diskriminierung vor. Zudem konnte der Bieter aus Sicht des EuGH hier die Mindestanforderungen nicht wegen ungleicher Rechtsvorschriften nicht erfüllen, sondern aus der Entscheidung seiner Muttergesellschaft heraus, aufgrund derer er verpflichtet war, alle Gewinne an die Muttergesellschaft abzuführen. Der EuGH betont jedoch in diesem Zusammenhang, dass sich ein Bieter auch auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit eines anderen Unternehmens (hier zB seiner Muttergesellschaft) stützen kann, indem er dessen Zusage vorlegt, ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.
EuGH 18.10.2012, C-218/11 – Édukövízig
Praxistipp:
Ein Auftraggeber hat bei der Wahl der Nachweise der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit (§ 74 BVergG) verhältnismäßig viel Freiheit. Begrenzt wird Gestaltungsspielraum nur insofern, als Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein müssen.
Legt ein Auftraggeber Kriterien und Nachweise fest, die ein Bewerber/Bieter alleine nicht erfüllen bzw. vorlegen kann, kann der Bewerber/Bieter – sofern in den Ausschreibungsunterlagen nicht Gegenteiliges geregelt ist – den Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit auch mit Hilfe des Nachweises der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Dritten (zB der Muttergesellschaft) und der Bestätigung, dass ihm diese Mittel tatsächlich zur Verfügung stehen, erbringen.
Autor: Leo Haslhofer
Auftragnehmerkataster Österreich
ANKÖ Service Ges.m.b.H.
ANKÖ Mitglieder Service Ges. m. b. H.
Anschützgasse 1
1150 Wien
© 1999 - 2023